Aus dem Bordbuch des Kolumbus
Beispiel einer Textquelleninterpretation im Fach Geschichte, 11. Klasse
erstellt von Maik Hager, 04.10.2025
1. Leitfrage
Welche Bedeutung hatte bzw. hat die Landung des Kolumbus in der "Neuen Welt"?
2. Analyse
Beim vorliegenden Text handelt es sich um einen Auszug aus dem sog. Bordbuch des genuesischen Seefahrers Christopher Kolumbus. Kolumbus leitete 1492/93 im Auftrag des Königs und der Königin von Spanien - seinen "Herren" (Z. 23) - eine Expedition zur Entdeckung eines westlichen Seewegs nach Indien. Das Bordbuch stellt somit den offiziellen vom Kapitän und Befehlshaber der Expedition verfassten Reisebericht in Form eines Tagebuchs (Logbuch) dar. Kolumbus übergab diesen Bericht nach seine Rückkehr des spanischen Königspaar.
Da das Original des Bordbuches verlorengegangen ist, wird in der Forschung auf die Abschrift des Spaniers Bartolomé de Las Casas zurückgegriffen.
Der vorliegende Text gibt den Eintrag vom 12. Oktober 1492 wieder und dürfte unmittelbar nach den Ereignissen verfasst worden sein.
Der Auszug lässt sich - orientiert an den Absätzen der Edition - in fünf Abschnitte gliedern.
Im ersten Abschnitt (Z. 1-6) berichtet Kolumbus von der ersten Landsichtung und der Anfahrt auf eine Insel deren Name Kolumbus bereits nennt: "Guanahani" (Z. 6).
Im zweiten Abschnitt (Z. 7-17) schildert Kolumbus die Sichtung der ersten "Eingeborenen". Dabei fällt ihm insbesondere deren Nackheit auf. Daran anschließend berichtet Kolumbus von seiner Landung und der Inbesitznahme der Insel durch die Entfaltung und das Schwenken dreier Flaggen, die er in Begleitung der beiden anderen Schiffskapitäne durchführte. Schließlich fällt ihm die üppige Vegetation und der Wasserreichtum der Insel auf.
Der dritte und längste Abschnitt (Z. 18-40) enthält eine Beschreibung der Beurkundung der Landnahme, zu deren Hilfe Kolumbus den "Notar der Armada" und weiter Zeugen zu sich rief. Da diese Ansammlung von Neuankömmlingen die Neugier "zahlreicher Eingeborener der Insel" (Z. 27) weckte, konnte Kolumbus sich ein genaueres Bild von ihnen machen. In seiner Charakterisierung der Indigen stellt vor allem deren Friedfertigkeit und Freundlichkeit heraus und legt dar, dass er beabsichtige sie sich "zu Freunden zu machen" anstatt gewaltsam gegen sie vorzugehen. Zum Ende des Abschnitts wird vom Austausch von Geschenken und vom beginnenden Tauschhandel berichtet.
Der vierte Anschnitt (Z. 41-50) enthält eine umfassendere Beschreibung des Aussehens der Indigenen. Auch hier wird wieder deren Nacktheit erwähnt. Darüber hinaus bewundert Kolumbus aber auch noch ihre Jugend ("niemand, der mehr als 30 Jahre alt war", Z. 43f.), Schönheit ("schön geformte Körper und gewinnende Gesichtszüge", Z. 45f.) und die Frisuren der Indigenen.
Im fünften und letzten Abschnitt (Z. 51-56) berichtet Kolumbus von der "Unkenntnis" (Z.53) der Indigenen in Bezug auf Waffen. Darüber hinaus fällt ihm auf, dass die Indigenen kein Eisen verwenden.
Der Bericht des Kolumbus enthält neben sachlichen Beschreibungen (Landsichtung, Landnahme und Beurkundung) auch persönliche Erklärungen (Vorgehensweise bei der Kontaktaufnahme) und von Emotionen geprägte Stellen (Bewunderung der Schönheit der Indigenen).
Im Kern gibt der Textauszug den ersten von Freundlichkeit, Friedfertigkeit und Neugier geprägten Erstkontakt zwischen den europäischen Neuankömmlingen und den mittelamerikanischen Indigenen wieder.
3. Historischer Kontext
Die erste Reise des Kolumbus in den Jahren 1492/93 stellt einen historischen Wendepunkt dar. Sie ist bis heute ein Schlüsselereignis der Weltgeschichte.
Nachdem sich durch den Vertrag von Alcáçovas die Portugiesen den Seeweg nach Indien entlang der afrikanischen Küste gesichert hatten, blieb Spanien der Handel mit dieser Region verwehrt. Nachdem Kolumbus, der den westlichen Seeweg nach Indien für den kürzeren hielt, am portugiesischen Hof keinen Erfolg hatte, wandte er sich mit einem Vorhaben an des spanische Königspaar Ferdinand und Isabella (Z. 14 und Fußnote). Diese finanzierten schließlich die Expedition des Kolumbus und sahen darin auch eine Möglichkeit sich gegenüber Portugal zu beweisen.
Als Kolumbus mit seiner Flotte aus drei Schiffen nach dreimonatiger Reise schließlich auf einer unbekannten Insel landete, war er davon überzeugt, einen bisher unbekannten Teil Indiens bzw. Ostasiens entdeckt zu haben. Diese Überzeugung vertrat er bis an sein Lebensende, nachdem er drei weitere Reisen in den heute als Karibik bekannten Teil Amerikas unternommen hatte. Erst weitere spanische (Vespucci 1499-1504) und auch englische und französische Entdeckungsfahrten (Cabot 1497/98, Cartier 1534-1542) brachten allmählich Gewissheit darüber, dass es sich bei der "Neuen Welt" um einen bzw. zwei andere Kontinente handelte. Dennoch war die geografische Beschaffenheit Nord-, Mittel- und Südamerikas auch um 1550 noch weitgehend unbekannt. Daran hatte auch die erste Weltumsegelung (Magellan/Elcano 1519-22) nicht viel geändert. Allerdings lieferte diese Expedition den ersten empirischen Beweis für die Kugelgestalt der Erde. Infolge dieser riskanten und langen Reise richtete sich das spanische Interesse aber nicht mehr auf die Erreichung Indiens auf westlichem Seeweg, sondern auf die Entdeckung von Schätzen in der "Neuen Welt" und die Eroberung der neuentdeckten Gebiete, sowie die Unterwerfung und Beherrschung der indigen Völker (Conquista).
4. Urteil
Als vom spanischen Königspaar Beauftragter und mit gewissen Rechten ausgestatteter Leiter der Expedition hatte Kolumbus, als er am 12. Oktober 1492 die Insel "Guanahani" (Z. 6) in Besitz nahm, ein Etappenziel erreicht. Aus Sicht Spaniens bestand mit der Gewinnung neuer Gebiete und Untertanen die Möglichkeit die portugiesischen Konkurrenz bei der Expansion ihrer Herrschaft über die Welt einzuholen. Auch aus religiöser Sicht bestand für Kolumbus und damit Spanien die Möglichkeit aufzuholen. Die Bekehrung der Indigenen (Missionierung) stellte eine Möglichkeit dar, dem eigenen Anspruch als Verteidiger und Verbreiter des Glaubens gerecht zu werden und sich dadurch auch größeren Einfluss in Europa, insbesondere beim Papst, zu sichern. Dass Kolumbus diese religiöse Ziel mit friedlichen Mitteln erreichen wollte, scheint durchaus plausibel, wenn man bedenkt, dass das dritte, wirtschaftliche Ziel - die Auffindung von Waren und der Handel mit diesen - am gewinnbringendsten ohne kriegerische Auseinandersetzung gelingen konnte. Die Textquelle zeigt jedoch auf, dass Kolumbus das Versprechen, wertvolle Waren wie Perlen, Edelsteine, Gold, Silber und Gewürze (siehe Schutzbrief vom 17.04.1492) nicht sofort einlösen konnte. Auch der Frieden mit den Eingeborenen konnte nicht gehalten werden, da die von Kolumbus als Siedler zurückgelassenen Matrosen nach internen Streitigkeiten die einheimische Bevölkerung versklavten oder töteten, bevor sie schließlich selbst von den Indigenen getötet wurden. Bereits auf der zweiten Reise änderte Kolumbus sein Vorgehen und griff zu Gewalt gegen die Indigenen, um die Tötung seiner Männer zu rächen, was als legitim angesehen wurde, da Kolumbus einen Aufstand der neuen spanischen Untertanen gegen ihre Herrscher nicht dulden konnte. Diese Vorgehensweise prägte in der Folgezeit die Politik der Spanier, aber auch anderer europäischer Mächte gegen die indigenen Völker Amerikas.
Die heutige Sicht auf die Expansion der Europäer in Nord-, Mittel- und Südamerika ist durch dieses gewaltsame Vorgehen gegen die indigenen Völker Amerikas - das zuerst von Bartolomé de Las Casas angeprangert wurde - geprägt. Erst in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts gelang es den amerikanischen Ureinwohnern Bürgerrechte zu erkämpfen, politischen Einfluss und Unabhängigkeit zu gewinnen und auf die Ungerechtigkeiten der Vertreibung, Versklavung und des Völkermordes aufmerksam zu machen. Dies führte auch zu einer differenzierteren, kritischen Sicht auf die europäische Expansion im 15. und 16. Jahrhundert sowie der darauffolgenden Jahrhunderte bis in die Zeit des Kolonialismus in der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Literaturhinweise
a) Quellen
- Christoph Kolumbus: Bordbuch, übers. v. Anton Zahorsky, Frankfurt/Main, Leipzig 2006, S. 44-47.
Hinweis: Der Textquellenauszug ist im u. g. Lehrbuch (Barth u. A. 2018) unter der Angabe von Zusatzinformationen und Aufgabenstellungen auf S. 40 abgedruckt.
b) Darstellungen und Handbücher
- Barth, Boris u. A.: Buchners Kolleg Geschichte - Einführungsphase, Bamberg 2018, S. 32-37.
- Rauh, Robert: Methodentrainer Geschichte Oberstufe - Quellenarbeit - Arbeitstechniken - Klausurtraining, 2. Aufl., Berlin 2017, S. 17.